Urs Bugmann - Vernissage Galerie Kriens, 18. Februar 2005

Die Malerei hat ihren Malgrund, die Kunst ihren Lebensgrund. Beides führt uns Bea Portmann mit ihren Bildern vor Augen. In ihrer „TapisSerie“, den Bildern, die auf den Flor eines Afghan-Teppichs gemalt sind, findet beides zusammen zu einer überzeugenden Form, die gleichzeitig Aussage ist.

Der Teppich, den die Künstlerin zerschnitten und als Malgrund für ihre Malerei genutzt hat, diente im wahrsten und buchstäblichen Sinn über Jahre hin als Lebensgrund: Er lag im Zimmer der verstorbenen Mutter von Bea Portmann. Er nahm Lebensspuren auf, grundierte den Alltag, bot ein solides Fundament. »Auf dem Teppich bleiben«, das meint, sich an die Realien und Tatsachen halten, den Grund unter den Füßen nicht verlieren. Doch Teppiche, das wissen wir aus den Märchen, können auch fliegen.

Bea Portmann lässt uns auf dem Teppich bleiben und macht uns fliegen. Ihre poetischen Bilder haben ihren Anteil am Tatsächlichen nicht verloren und sie verleugnen ihn nicht, sie machen ihn sichtbar. Der Teppich, der in ihrer »Tapisserie« den Malgrund abgibt, offenbart hier und dort in Aussparungen seine Muster und Ornamente. In der Aussparung werden sie erst recht zu poetischen Zeichen, verrät das Reale seinen Anteil am Märchenhaften, an dem, woraus die Träume und die Kunst schöpfen. Für die Malerin sind es Lebenserinnerungen, die aus der Grundierung ihrer Bilder hervorbrechen, für uns können es Signale sein zu eigenen Erinnerungen: Schon der Malgrund erzählt uns Geschichten.

Linien, Figuren und Flächen legt die Künstlerin mit Farbe auf den Flor und in seltenen Ausnahmen auf die gewobene Rückseite des Teppichs. Es sind Zeichen, die manchmal Motive des Teppichmusters aufnehmen und umdeuten, ins Surreale und Poetische ausgreifen. Die organischen Formen mit Knospen und Mündern, mit Keimen und allerlei Tentakeln sprechen eine feine, zurückhaltende und doch kräftig deutliche Sprache. Diese Teppichbilder in ihren warmen und lichten Farben, die vom Dunkeln und Schweren, das sich darin auch findet, in ihrer Leichtigkeit nur noch betont werden, erzählen eine Lebensgeschichte, die Gewesenes auflöst und aus Vergangenem den Grund zu Neuem gewinnt.

Was diese »Tapisserie« an Lebensintensität enthält, was sie in einer unmittelbar überzeugenden und einleuchtenden Form und Machart zur Aussage bringt, das findet sich in den übrigen Arbeiten von Bea Portmann, die hier zu sehen sind, auf andere Weise. Wenn in den Teppichbildern der Lebensgrund ganz unmittelbar den Malgrund abgibt, so zeigt in den Arbeiten auf Papier und auf MDF-Platten die Behandlung des Malgrunds, wie Lebensspuren den Grund abgeben für die Kunst.

Bea Portmann bringt dem Malgrund diese Lebensspuren willentlich, in einem gleichsam verkürzten Verfahren bei, bevor sie mit Ölpastellkreiden darauf zeichnet und malt. Was die Zeichnung sichtbar macht, sind wiederum Lebensspuren: der nachgezogene Umriss einer Hand, die Körperkontur, die von einer Linie markiert wird. Doch das sind keine plakativen Muster und Formen, das sind Spuren, die überlagert und durchkreuzt werden, in ihrer Eindeutigkeit durchbrochen. Schemenhaft ist eine liegende Figur auszumachen, aus einem Daumen der Handsilhouette treiben die Wassertriebe eines gestutzten Baumes. Körperliches und Kreatürliches ist auszumachen, ohne dass es eindeutig zuzuschreiben wäre. Oder es zeigt sich ein Haus, eine Linie, die sich schlingt und rankt. Und auch hier wieder Knospen und Keime. Was diese Bilder als Zeichen sichtbar machen, ist das Wachsende und Werdende mehr als das Festgefügte und Erstarrte.

Diese Künstlerin verwandelt, was sie an realen Spuren und Zeichen in ihre Malerei aufnimmt, so wie sie ihr Material erst durch einen Arbeitsprozess aus seiner reinen Materialität »erlöst«. Sie weicht den Malgrund in seinem faktischen So-Sein auf, damit er überhaupt erst fähig wird, Spuren aufzunehmen. Bei den kleinen Tafelbildern auf MDF-Platten überhöht Bea Portmann mit Spachtelmasse die glatte Oberfläche. Sie schichtet Hügel und Verwerfungen auf, ehe sie mit Farbe in mehrfachen Schichtungen darüber malt. Ranken und Labyrinthe, Pflanzen und hier der Schemen einer Katze - doch vielleicht sind es nur unsere Vorstellungen, die die Zeichen figürlich deuten.

Was Bea Portmann in ihren Bildern anlegt, indem sie den Malgrund verändert, indem sie Lebensspuren in Zeichen verwandelt, das setzen wir vor diesen Bildern fort. In unseren Vorstellungen und Erinnerungen suchen wir nach den Bedeutungen. Das Unbekannte suchen wir ans Bekannte heranzuführen. So führen uns die Zeichen zu unseren eigenen Lebensspuren.

Das ist es, was die Kunst ausmacht: Dass sie aus einem Lebensgrund kommt, dass sie ihn verwandelt und, was sie aus ihm gewonnen hat, öffnet auf das Leben, auf uns Betrachter hin. Wie die Malerei ihren Malgrund hat, hat die Kunst ihren Lebensgrund - aus dem sie kommt, auf den sie hinzielt.

Was wir hier als das Werk von Bea Portmann sehen, sind keine Eintagsfliegen. Es sind Arbeiten, die auf eine lange Entwicklungslinie zurückweisen und die, jedes einzelne Bild, nicht aus dem Moment, sondern aus einem unbeirrten, immer neu ansetzenden Suchen gewachsen sind. Das Wachsen, das schichtweise Ablagern von Werk- und Lebensspuren ist bei genauem Hinsehen hier und dort zu entdecken, wo die Überlagerungen durchscheinend, wo die Verwandlungen nachvollziehbar sind.

Was der nahe und aufmerksame Blick erkennt, macht die Intensität dieser Bilder aus: Sie sind von Erfahrungen gesättigt, ohne dass sie damit groß tun. Sie heben das Schwere auf in einer Leichtigkeit, die mit Oberflächlichkeit nicht das Allermindeste zu tun hat. Denn diese Leichtigkeit liegt über einem Grund, der sich durch die Jahre in spurenreichen Schichten abgelagert und gesetzt hat.

Mit der Leichtigkeit hängt die Poesie dieser Bilder zusammen: Bea Portmann hat sich einen leichten Strich bewahrt, der ohne alle Anbiederung an eine kindliche Naivität etwas von der spielerischen Unverformtheit jener frühen Tage des Entdeckens und des Staunens bewahrt hat.

Poesie ist die anmutige Kunst, mit Zeichen zu sprechen. Die Zeichen, die uns Bea Portmann auf ihren im Grundton heitern und in ihrer Farbigkeit lichten Bildern gibt, sind manchmal mehr, manchmal weniger rätselhaft. Sie sind rätselhaft genau in dem Maß, das uns neugierig macht, das uns näher hinsehen und nach Enträtselung suchen lässt. Sie sind auch rätselhaft genug, dass wir damit nicht so leicht zu Rande kommen. Sie werden sehen: Sich auf diese Bilder einzulassen, heißt »auf dem Teppich bleiben« - bei dem, was wirklich ist, was die Lebensspuren als Sedimente hinterlassen haben und was Natur und Realität an Formen anbieten - und es heißt, auf diesem Teppich abheben, sich wegtragen lassen ins Ungekannte oder Vergessene, in Traumgefilde, in die Sphären, wo sich, was wir die Wirklichkeit nennen, verwandelt in etwas, das uns über das Handfeste hinaushebt und das uns zugleich hilft, in diesem Handfesten besser zu bestehen.

Bleiben Sie also auf alle Fälle auf dem Teppich. Sei es, dass Sie hier stehen bleiben, oder sei es, dass Sie wegschweben möchten. Das eine - das Schweben oder das Stehen - wird sich ins andere verwandeln. Die Bilder von Bea Portmann haben dazu Kraft und Poesie genug.